Liebe Freunde,
im Rundbrief 39 hatten wir kurz erwähnt, dass wir im Frühjahr 2017 noch einmal gut 20 Kinder aufgenommen haben. Aufgrund anderer aktueller Ereignisse haben wir sie Ihnen bis heute noch nicht vorgestellt und wollen dies hier nachholen. Die meisten neuen Kinder sind als Geschwisterpaare gekommen, die wir ungern trennen wollten. Es ist doch schon genug, dass sie den Tod eines Elternteils oder deren Trennung verkraften müssen. Die Familie soll nicht noch weiter zerrissen werden, und für die Aufnahme in Frage kommende Geschwister sollten sich nicht fremd werden. Auch trägt sich zu zweit Manches leichter. So können sie sich in der Trauer, im Trennungsschmerz und in der Eingewöhungsphase in unsere Großfamilie, die Kinder aus allen Landesteilen, Kasten und Ethnien umfasst, gegenseitig trösten und stützen und haben bei ihrem Neubeginn einen vertrauten Menschen in ihrer Nähe. Die neuen Kinder kamen über ehemalige Schützlinge, Lehrer aus der Schule der Kinder, Nachbarn oder den „Social Welfare Council“ (SWC) , das nepalesische Jugendamt.
Beim größten Teil dieser neuen Kinder ist ein Elternteil verstorben. Der Vater von Unish (9) und seiner Schwester Unisha (6) verunglückte als LKW Fahrer im Grenzbereich zu Indien tödlich. Bei den engen und kurvenreichen Straßen, den oft sehr gewagten Überholmanövern und nicht gesetzlich regulierten Lenkzeiten leider ein häufiges Schicksal. Die Mutter sieht sich als Bauarbeiterin zeitlich, finanziell und emotional außerstande für die Kinder zu sorgen.
Bei Familien aus dem bergigen ländlichen Bereich, wo noch täglich mit der Sichel Gras fürs Vieh geschnitten werden muss, rutschen häufig Menschen in ihren Plastikschlappen am Hang ab und verlieren dabei ihr Leben. Deshalb kamen die 13-jährige Manisha und ihr 11-jähriger Bruder aus dem vom Erdbeben nicht zerstörten Lamjung zu uns. Nach dem so erlittenen Tod des Vaters heiratete die Mutter bald wieder und ließ ihre Kinder bei der Schwester des verstorbenen Mannes, der sogenannten „big mother“ zurück, die nach dem nepalesischen Familienverständnis in so einem Fall die Verantwortung für die Kinder des Toten übernehmen muss, selbst wenn sie eine eigenen Familie hat. Weder die Mutter der Kinder noch die Tante waren finanziell in der Lage für die Kinder zu sorgen. Daher brachte sie ein Nachbar, der aus dem gleichen Dorf stammt, zu uns.
Die Mutter von Ismit (9) und seiner Schwester Smiriti (6) ereilte das gleiche Schicksal
in Dhading. Anfänglich hatten beide Kinder den Tod der Mutter noch nicht verkraftet und weinten gelegentlich bzw. das Mädchen sprach während der Hausaufgabenzeit darüber und über zu Hause. Der Vater hatte wieder geheiratet und lebte bei seiner neuen Familie. Alleinerziehender Vater zu sein ist in der nepalesischen ländlichen Gesellschaft nicht üblich. Die Großeltern kümmerten sich zunächst um die Enkel, sahen sich aber aufgrund ihres Alters nicht länger dazu in der Lage. Da in Nepal auf dem Land meistens schon mit 15 oder 16 Jahren geheiratet wird und bald Kinder kommen, sind die Großeltern oft erst zwischen 40 und 50. Sie wirken alt und werden als alt empfunden, weil sie ausschließlich körperliche Arbeiten verrichtet haben bei oft extremer Witterung und mit wenig und einfacher Nahrung sowie unter äußerst kräftezehrenden Lebensbedingungen. Ich denke da nur an das tägliche Wasserschleppen vom nächsten Brunnen, der unter Umständen auch in einer gewissen Entfernung liegt. Sie sind abgeschafft und ausgemergelt und weit weniger dynamisch als Menschen dieses Alters bei uns.
Krankheiten, oft nicht einmal diagnostiziert, sind eine weitere Todesursache, besonders in weit von Kathmandu entfernten Gegenden, wo es oft noch keine Verkehrswege gibt. Die Bewohner gehen erst einmal zu dem vertrauten örtlichen Medizinmann oder Schamanen und suchen den ausgebildeten Arzt nur dann auf, wenn die Behandlung des Ersteren nicht hilft. Oft ist die Krankheit dann so weit schon fortgeschritten, dass ein Arzt auch nichts mehr ausrichten kann. Möglich ist auch, dass der Gesundheitsposten nicht besetzt ist, es gar keinen Arzt gibt, weil niemand in so entlegenen Gegenden wie in dem im äußersten Nordwesten liegenden und sehr unterentwickelten Humla arbeiten will. Andere können sich eine ärztliche Behandlung finanziell gar nicht leisten, denn Krankenkassen kennt Nepal nicht. So erlag der Vater der beiden Brüder Prakash (11) und Rajan (7) seinem Leiden – evtl. einem Herzinfarkt. Da wir mehrere Kinder aus diesem Distrikt haben, hatten die beiden älteren Brüder von unserer Einrichtung erfahren und brachten ihre jüngeren Brüder kurzerhand nach Kathmandu, schlossen sie in einem Zimmer ein und meldeten sich bei uns. Hätten wir nein sagen können?
Krankheit führte auch zum Tod der sehr armen Eltern von Sarap Narayan (6) und seiner Schwester Sanju (8) aus dem im Süden Nepals gelegenen Terai. Die Großmutter brachte die Kinder zu uns. Als der ca. 14-jährige Bruder, der sich bereits seinen Lebensunterhalt in einer Schuhfabrik in Kathmandu verdient, vom Weggang der jüngeren Geschwister erfuhr, wollte er sie umgehend ins Dorf zurückholen. Die jüngeren Geschwister sollten nicht bei Fremden aufwachsen. Erst nach einem Jahr erhielt er unsere Adresse und kam in Begleitung von zwei Freunden zu uns, die ihn schon im Vorfeld zu überzeugen versuchten, dass die Kinder bei uns besser aufgehoben sind als bei der Großmutter im Dorf. Beeindruckt von dem, was er sah, ging er glücklicherweise ohne die beiden Geschwister wieder weg.
Warum der Vater der Brüder Sabin (12) und Sandip (14) aus Nuwakot Selbstmord verübte, wissen wir nicht.Sie kommen wie die letzten vier erwähnten Kinder aus einer kinderreichen Familie.
Im April 2018 kam noch Lalit ( ca 7) aus Rukum dazu, der ein besonders schweres Schicksal hat. Die Mutter hatte Selbstmord begangen, vom Vater wissen wir nicht, ob er auch verstorben oder verschwunden ist. Der Junge landete als Kinderarbeiter in einer Ziegelsteinfabrik in Indien. Zum Glück konnte er befreit werden und lebt jetzt bei uns. Wenn es Sabin Khuials Großvater nicht gäbe, hätte der Junge, der auch im April 18 aus Banepa zu uns kam, vielleicht ein ähnliches Schicksal erlitten. Als eine Nierenerkrankung bei der Mutter festgestellt wurde, ließ der Vater seine Familie im Stich. Die Mutter erlag inzwischen ihrer Krankheit; der Großvater nahm sich des Enkels an. Der Vater ist nicht wieder aufgetaucht, worunter der Großvater sehr leidet.
Abschließend ist noch Sangam (10) zu erwähnen, die aus dem im Zentrum des Landes liegenden Distrikt Dolakha kommt. Ihr Vater starb an der Tollwut.
Trennung und Scheidung führen auch viele Kinder zu uns. Im Fall der Brüder Akash
(10) und Bigyan (7) hatte der Vater schon vor Jahren die Familie verlassen. Die taubstumme Mutter arbeitet auf einer Hühnerfarm und kann sich mit ihrem Lohn gerade selbst mühselig über Wasser halten. Aufgrund ihrer Behinderung kann sie ihren Söhnen auch keine Stütze sein.
Trotz extremer Armut hatten sich die Eltern von Santram (12) und seiner Schwester Menuka (8) aus dem im Süden gelegenen Bardiya getrennt. Keiner könnte auch nur mit einem der Kinder, geschweige denn mit beiden ein neues Leben anfangen. Wie gut, dass ein früherer Schützling sie zu uns brachte.
Ungewöhnlicher in der nepalesischen Gesellschaft ist der Fall von Niruta (6) und ihrem Bruder Niraj (4) aus dem Ramechhap, denn deren Mutter hatte sich mit einem anderen Mann in ein Verhältnis eingelassen, während ihr Mann in Malaysia arbeitete.Die Eltern trennten sich und sind inzwischen beide wieder verheiratet. Die Kinder aus der ersten Ehe werden von beiden als unselige Hypothek empfunden, die den Neuanfang nur behindern würden.
Extreme Armut führt auch manches Kind zu uns. Das gilt für Sunil (7) und seinen Bruder Subendra (6) aus dem Ramecchap, deren Vater einfach nicht genügend für den Unterhalt der Familie erwirtschaftet. Für eine bessere Zukunft wollen die Eltern ihren Kindern eine gute Schulbildung in Kathmandu ermöglichen und nehmen dafür die Trennung in Kauf. Das trifft auch auf Binod (15) zu, dessen Schwester selbst in einer Einrichtung für Mädchen aufgewachsen war. Sie wollte ihrem Bruder bessere Lebenschancen ermöglichen und sprach deshalb bei uns vor.
Die weiteren sechs Kinder gehören unseren Hausangestellten, denn wir meinen, dass auch sie eine gute Schulbildung bekommen sollten. Sie kommen ebenso aus armen Familien und manche der Mütter sind ebenfalls alleinerziehend. Der Verein übernimmt alle Kosten für Verpflegung und Schule für sie. Sie verbringen den Tag mit unseren Kindern, nehmen an allen Aktivitäten teil und gehen nur zum Schlafen nach Hause. Sie sind voll integriert.
Viele sehr engagierte Praktikantinnen und Praktikanten kamen bzw. kommen dieses Jahr zum zweiten oder gar dritten Mal in einem Praxissemester, während ihrer Semesterferien, ihres (unbezahlten) (Sonder-)Urlaubs oder des Wartens auf ihren Wunschstudienplatz zu uns. Darüber hinaus haben sie eine neue Webseite auf Deutsch und Englisch erstellt, uns auf Instagram gebracht und unsere facebook-Seite belebt. Es lohnt sich, öfters einen Blick rein zu werfen, um Aktuelles zu erfahren. Inzwischen besteht auch die Möglichkeit, direkt über unsere Homepage online zu spenden.
Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung und halten Sie uns bitte die Treue, denn wir brauchen Sie dringend für unsere große Familie.
Ganz herzlich grüße ich Sie als
Eine Vielzahl weiterer Rundbriefe, der vergangenen Jahre, finden sie auch in unserem Downloadbereich zum herunterladen als pdf.
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