Sechs Tage die Woche Schule – jeden Tag von 9 bis 4 Uhr. Davor Hausaufgaben – danach Hausaufgaben. Nur der Samstag ist frei.
Der Alltag eines nepalesischen Schulkindes liest sich recht monoton und anstrengend. Was also tun, um dieser Monotonie entgegenzuwirken und unseren Kindern einen etwas abwechslungsreicheren Alltag zu gestalten? Nachdem das Vorlesen von Charlie und die Schokoladenfabrik eher für Langeweile gesorgt hatte und nicht mit allzu großer Begeisterung angenommen wurde, suchten wir letztes Jahr im November nach einer neuen Beschäftigung für die Kinder, bevor sie ins Bett gehen müssen.
Aus einer kleinen, noch unfertigen Idee ihnen durch Präsentationen die Kultur anderer Länder zu zeigen wurde ein dreimonatiges Weltreiseprojekt: Eine Weltreise - von Nepal nach Nepal – in Nepal.
Die Vorbereitung
In einem kurzen Treffen überlegten wir Praktikanten uns eine Route. Naja, vielleicht wäre eine Reihenfolge der bessere Ausdruck. Eine Reihenfolge von Ländern, die wir den Kindern vorstellen wollten. Über Russland und Kasachstan nach Europa, von dort nach Afrika, dann nach Süd- und Nordamerika und über Australien und China zurück nach Nepal. Für meinen Geschmack waren ein paar europäische Länder zu viel dabei, aber dennoch eine recht breite Auswahl, die den Kindern die Vielfalt unseres Planeten ein wenig näherbringen sollte. Die Frage war nur: Würden die Kinder unsere Idee denn auch annehmen und sich auf diese Reise einlassen?
Die Reise beginnt...
Den Startschuss für das Projekt sollte Russland darstellen. Neben einer Weltkarte, auf der ich eine Linie von Nepal nach Russland und ein Flugzeug einzeichnete, suchten wir Bilder und Videos heraus, mit denen wir den Kindern ein paar Eindrücke der russischen Kultur zeigen wollten. Die Begeisterung der Kinder hielt sich zunächst in Grenzen, als wir ihnen erzählten, dass wir ihnen eine Präsentation zeigen würden und vor allem der Beamer, den wir dazu herbeiholten, weckte bei den meisten eher die Sehnsucht nach einem Film, als ein paar Bildern und Videos über ein anderes Land. Doch mit Beginn unserer Präsentation schauten alle Kids gespannt auf die Bilder, die wir ihnen zeigten. Spätestens mit einem kleinen Video, das Landschaften in Sibirien zeigte, hatten wir ihre Aufmerksamkeit sicher. Und das Highlight der Präsentation war ein Video, in dem eine Matroschka geöffnet wurde. Die Kinder hatten keinen blassen Schimmer, was es mit der lackierten Holzfigur auf sich hatte und brachen immer wieder in Gelächter aus, wenn die Matroschka ein weiteres Mal aufgedreht wurde und eine noch kleine Kopie von sich selbst offenbarte. Und genau dies war unser Ziel gewesen. Den Kindern etwas zu zeigen, dass sie noch nicht kennen; ihnen den Blick über den Tellerrand zu ermöglichen, den sie eigentlich kaum bekommen können, weil sie in ihrer Kindheit Nepal nie verlassen werden.
Unser Projekt wurde also super angenommen und beim anschließenden Gute-Nacht Sagen fragten uns die Kinder sofort, was denn das nächste Land sein würde und stellten uns Fragen zu der Präsentation über Russland. So ging es ab diesem Zeitpunkt regelmäßig auf unserer Route weiter. Zwei Mal die Woche zeigten wir den Kindern eine Präsentation über ein Land und alle Volunteers brachten sich ein und kamen mit kreativen Ideen um die Ecke, um den Kindern einen möglichst authentischen Eindruck anderer Kulturen zu geben.
In den drei Monaten, in denen wir die Kinder auf unsere Weltreise mitnahmen, haben sie Vulkane und Geysire ausbrechen sehen, das erste Mal ein Stück Pizza und Schweizer Käse probiert, Tiere von jedem Kontinent der Erde gesehen und sich Musik und Tänze verschiedenster Kulturen angeschaut.
Unsere Idee ging voll auf. Unsere Weltreise hat den Kindern gezeigt, wie vielfältig unsere Welt eigentlich ist. Sie haben einen Kontrast zu ihrem oft eintönigen Schulalltag erhalten, der ihnen zeigte, dass in anderen Teilen der Erde vieles anders läuft als in Nepal. Dabei ging es nie darum den Kindern westliche Werte und Kultur zu vermitteln. Es war nicht unser Ziel, dass die Kinder nach unserem Projekt andere Musik hören und sich nach ausländischem Essen sehnen. Es ging bei diesem Projekt um die Schaffung von Chancengleichheit. Darum auch unseren Kindern, die Chance zu ermöglichen ihre gewohnte Umgebung zu verlassen und sich mit einer fremden Kultur auseinanderzusetzen. Ganz egal, dass dies nur mit einem Beamer und einer Präsentation funktionierte. Jedes Kind kann mit den Eindrücken, die wir aufgezeigt haben nun anfangen, was es will. Vielleicht hat unsere Weltreise bei ein paar der Kinder das Interesse geweckt, sich weiter mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen und womöglich nach der Schule ins Ausland zu gehen. Andere Kinder hingegen, waren vielleicht eher ein wenig desinteressiert und diese Eindrücke reizen sie rein gar nicht. Und beides ist in Ordnung. Wichtig war uns nur den Kindern diesen Blick über den Tellerrand zu ermöglichen, wenn auch nur durch ein paar Präsentationen simuliert – und den meisten hat es richtig gut gefallen.
Das Ende der Reise
Wie auf einer richtigen Reise änderten wir sogar spontan unsere Route an der ein oder anderen Stelle. Auf Wunsch der Kinder integrierten wir eine Präsentation über Brasilien und sogar eine Präsentation über Nepal wünschten sie sich. So endete unsere Weltreise nach 16 verschiedenen Ländern wieder in Nepal, wo wir versuchten den Kindern ein paar Facetten ihres Heimatlandes zu zeigen, die sie noch nicht kannten. Zum Abschluss gab es noch ein kleines Quiz, mit Fragen zu jedem Land.
Und wer weiß, vielleicht gehen wir ja in Zukunft noch einmal mit den Kindern auf Weltreise. Noch einmal von Nepal nach Nepal – in Nepal.
Mathis Rauland
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