Winter 2020
Liebe Freundinnen und liebe Freunde,
auch Nepal steht immer noch ganz im Zeichen von Corona. Zwar sind inzwischen alle Geschäfte wieder geöffnet, öffentliche und private Verkehrsmittel dürfen wieder fahren, so dass einige Menschen wieder Arbeit haben, nur die Schulen und Colleges sind immer noch geschlossen. Sie sollten nach den Festtagen Mitte November wieder öffnen, aber die Regierung hüllt sich bezüglich des genauen Termins immer noch in Schweigen. Wie gut, dass unser Betreuungsteam, unterstützt von einigen Großen, seit Beginn des Lockdowns Ende März für unsere Kinder täglich mehrere Stunden häusliches Lernen eingerichtet hat und jetzt sogar eine bewertete Klassenarbeit schreiben ließ. Dieses Schuljahr wird für unsere Kinder kein verlorenes werden.
Mangels digitaler Infrastruktur in den Schulen und Elternhäusern ist an Online-Unterricht bis zur 10.Klasse kaum zu denken. Die ausgesprochen kleinen Klassenzimmer machen einen Präsenzunterricht unmöglich, denn die Schüler sitzen so eng „wie die Ölsardinen in der Dose“ zusammen. Da die Colleges besser ausgerüstet sind, haben die Jugendlichen jenseits der Klasse 10 täglich 3 Stunden Online-Unterricht und entsprechende Hausaufgaben.
Im Oktober und November, der schönsten Jahreszeit in Nepal, liegen die beiden größten Hindufeste: Dashain und Tihar (Lichterfest). Ganz traditionell feierten unsere Kinder Dashain im Kinderheim in ihrem jeweiligen Haus. Rajesh gab den Kindern das Dashain Tika (rotes Segenszeichen auf der Stirn). Da Kleidergeschenke zu diesem Fest üblich sind, bekamen die Kinder dringend benötigte neue Hausuniformen. Der Nachschub an Kleidung aus Deutschland fehlt zurzeit eben. Die größeren Mädchen erhielten zusätzlich noch eine Kurta Surwal, das typische nepalesische Frauengewand. Es gab Ziegenfleisch, eine Delikatesse und ein echter Festtagesschmaus in Nepal. Nachmittags wurde viel gespielt. Viele Buben aus Haus 1 haben extra einen Tanz zu dem Fest einstudiert. Ihre sicheren Bewegungen vermitteln fast den Eindruck, dass die ungeplant dazwischen-kommenden Ziegen zur Choreographie gehören. Ich bin sehr beeindruckt von ihrer Leistung und stolz auf sie, denn den Tanz so gut zu tanzen erforderte extrem viel Üben und volle Konzentration.
Covid-19 wirkt sich auf die Haupteinnahmequelle des Landes, den Tourismus aus. Jetzt in der Hauptreisezeit fehlen die Touristen. Hotels, Restaurants und Läden im Touristenviertel Thamel sind geschlossen. Es gibt kaum Trekking Permits. Dazu kommt noch, dass viele Trekking-Gebiete gar keine Touristen wollen, weil sie Angst haben, dass diese das Virus einschleppen. Auch der innernepalesische Tourismus zu den Festtagen fiel weg, denn die an diesen Tagen üblichen und extrem vollen Sonderbusse in die Dörfer zum Feiern mit der Großfamilie bzw. Dorfgemeinschaft wurden gestrichen. Das beliebte „bailo“ und „deusi“, bei dem Kinder und Jugendliche an Tihar (14.11.-17.11.) singend und tanzend von Haus zu Haus ziehen und Gaben in Form von Obst, Reis sowie Geld bekommen, wo viel buntes Treiben in den Straßen herrscht, hat die Regierung untersagt.
Leider kam durch ein Mitarbeiterehepaar, das in die Stadt ging, auch das Virus in unser Haus. Wir ließen daraufhin alle Kinder und Hausangestellten testen. Einige erhielten ein positives Ergebnis, zeigen aber in den meisten Fällen keine oder nur ganz leichte Symptome. Nun sind sie alle im 3. Haus in Quarantäne. Wir hoffen sehr, dass keine neuen Fälle dazukommen, und die Immunisierung bei den Betroffenen klappt. Die Fallzahlen in Nepal erreichten Mitte Oktober mit knapp 6000 Neuinfektionen -etwa die Hälfte davon im Kathmandutal -ihren Höchststand. Sie liegen derzeit (13.11.) bei knapp 3000 pro Tag. Das Land zählt mehr als 1000 Covid-19-Tote und über 80 % Genesene. Generell gesehen werden täglich mehr als 10.000 Tests durchgeführt. Ob alle Ergebnisse immer ganz stimmen, wird von manchen Quellen bezweifelt.
Die sonst vor den Festtagen ungebremste Kauflust der Nepalesen hielt sich dieses Jahr sehr in Grenzen. Innerhalb von zwei Wochen meldeten sich mehr als 2000 Arbeitslose. Eine Zeitung zeigt lange auf der Straße sitzende Menschenschlangen, die auf eine Essensration von der Regierung warten. Wie gut ist es doch, dass wir dank Ihrer großzügigen Unterstützung inzwischen mehr als 800Care Pakete verteilen und manchen Mietrückstand beheben konnten. Vermieter hätten sonst diese 4-6-köpfigen Familien, die meistens nur ein einziges Zimmer bewohnen, auf die Straße gesetzt. Die Empfänger kamen zu uns als Bittsteller mit Tränen der Verzweiflung in den Augen und gingen mit Tränen des Dankes und Glücks von uns weg. Kann Geld je besser angelegt sein? Es sind Tagelöhner, die auch jetzt noch keinen Job haben und auf unsere Unterstützung angewiesen sind. Unter ihnen ist eine fast blinde Frau, die vor der Pandemie in den Straßen Kathmandus für Spenden sang, mit denen sie ihre Familie ernährte. Der lange und heftige Monsun dieses Jahr verursachte in verschiedenen Gegenden des Landes Erdrutsche, bei denen Häuser zerstört wurden und Menschen ums Leben kamen. So auch im weit im Westen liegenden und verkehrstechnisch noch nicht erschlossenen Distrikt Jajarkot, aus dem auch einige unserer Kinder kommen. Auch hier leisteten wir durch einen vertrauenswürdigen Mittelsmann Hilfe.
Im Winter kommt im Terai, dem Süden des Landes, zum Hunger noch die Kälte hinzu. Die Sommertemperaturen von 40-45 °C fallen auf 10 °C oder weniger herunter. Es ist immer nebelig. Die Kälte kriecht den Bewohnern so richtig in die Knochen. Deshalb erfüllten wir die Bitten einiger Bedürftiger nach Decken und verteilen gerade 50. Diese Hilfe machen Sie mit ihren 271 Spenden auf unsere Spendenaktion möglich, bei der inzwischen insgesamt €35.821 zusammengekommen sind: €25.781 über die Portale gut-fuer-die-ostalb.de und betterplace.org und €10.040 auf unserem Vereinsspendenkonto. Erfreulicher Weise gehen für diese Aktion immer wieder noch Spenden ein, so auch während der Erstellung dieses Rundbriefes. Drei sehr weitsichtige Personen haben sogar einen Dauerauftrag dafür eingerichtet. Unsere Hilfe wird sicherlich noch längere Zeit benötigt. Nepals Wirtschaft wird sich viel schwerer als unsere erholen. Haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihre beispielhafte Anteilnahme am Schicksal dieser Menschen.
Wie im letzten Rundbrief angekündigt wollen wir nun Prakash mit seinen Eindrücken von seinem Schuljahr in Deutschland zu Wort kommen lassen. Bei der sprachlichen Korrektheit seines Beitrags erhielt er ein bisschen Unterstützung.
Hallo, ich bin Prakash und komme aus Nepal. Ich bin in einer Organisation für Kinder groß geworden, dem „Haus der Hoffnung“. Nach der zehnten Klasse hatte ich die Gelegenheit nach Deutschland zu fliegen. Es war einer meiner großen Träume, ein europäisches Land zu besuchen und letztes Jahr war ich in Deutschland. Seit meiner Kindheit habe ich über europäische Länder nur gehört und von den deutschen Praktikanten hier in Nepal ein bisschen mehr gelernt, ich wollte auch selbst sehen und eine andere Kultur erfahren.
Ich konnte nach Deutschland, weil ich an einem internationalen Schulprogramm teilgenommen habe. Ich war ein Jahr lang in Deutschland und habe ein deutsches Schuljahr mitgemacht. Der Unterricht lief natürlich auf Englisch und ich hatte die Möglichkeit, viele ausländische Freunde zu finden, weil die Klasse eine internationale Klasse war. Es gab ungefähr 18 internationale Schüler, die zum Beispiel aus Argentinien, den USA, Italien und Montenegro gekommen sind. Aus Asien waren wir insgesamt drei: zwei Nepalesen (außer mir noch Samjhana, die aus der gleichen Organisation kommt) und ein Mädchen aus Myanmar. Ich habe bei einer deutschen Familie als Gastschüler gewohnt. Nach 6 Monaten bin ich umgezogen. Ich wurde in beiden Familien gleichermaßen geliebt.
Natürlich habe ich sehr viel über die deutsche Kultur gelernt. Deutsches Essen zum Beispiel schmeckt mir echt lecker, aber die Pünktlichkeit in Deutschland fand ich zu streng. Wie die Deutschen aber alles vorher planen, gefällt mir. Bei uns Nepalesen ist es etwas anders. Wir sind super spontan und planen nur sehr wenig. Sprache ist auch ein Thema. Obwohl ich in Nepal schon ein bisschen Deutsch gelernt hatte, hatte ich am Anfang Probleme, die Leute zu verstehen, weil sie sehr schnell gesprochen haben. Ich habe dann aber immer gesagt: „Bitte langsam und deutlich!“ Nach 5 bis 6 Monaten hatte ich mich dann daran gewöhnt und brauchte das nicht mehr zu sagen. Kulturell habe ich Weihnachten ziemlich cool gefunden, weil wir in unserer Organisation nur einen Tag Weihnachten feiern und selbst das nicht so riesig. Und die meisten Nepalesen feiern gar kein Weihnachten, weil die meisten Hindus oder Buddhisten sind. Mir hat Weihnachten in Deutschland sehr gefallen. Alle Lichter und der Weihnachtsmarkt waren unglaublich! Das hab ich echt genossen.
Abschließend möchte ich also sagen, dass ich Deutschland sehr genossen und einfach über das Leben sehr viel gelernt habe. Zum Beispiel, dass man richtig planen soll, um zurechtzukommen. Oder dass man bei Missverständnissen darüber diskutieren kann, was wir in Nepal ziemlich selten machen. Irgendwann in der Zukunft werde ich Deutschland bestimmt nochmal besuchen –so habe ich es jedenfalls geplant. Und ja, besonders deutsches Essen vermisse ich immer noch! Aber ehrlich gesagt: Sprudel und Salat habe ich nie gemocht.
Bei der letzten Mitgliederversammlung im September gab es Veränderungen im Verein, die wir Ihnen auch mitteilen möchten. Unsere Schriftführerin Toni Lang und unser Schatzmeister Joachim Müller schieden aus privaten bzw. familiären und beruflichen Gründen aus. Wir danken ihnen an dieser Stelle sehr herzlich für die geleistete Arbeit. Ingrid Schneider-Winter als Schriftführerin und Walter Neumann als Schatzmeister folgen ihnen nach. Beide lernten Nepal bei unserer Gruppenreise an Ostern 2014 kennen und waren seither im Verein engagiert. Beide kommen aus dem Schuldienst und sind jetzt im Ruhestand. Ingrid arbeitete noch vor dem weltweiten Lock-down einen Monat lang als Senior-Praktikantin mit. Ich freue mich, dass sie sich diesen Aufgaben gestellt haben und wünsche ihnen viel Freude an diesem Ehrenamt.
Die durch die Pandemie eingetretene Entschleunigung setzte sowohl bei unseren nepalesischen Kindern und Angestellten als auch unseren ehemaligen Praktikant*innen kreative Kräfte frei. In Nepal knüpfen große Mädchen und Buben (!) schön gemusterte Freundschaftsbändchen. Zwei Angestellte wenden ihre frisch erworbenen Kenntnisse aus ihrem Nähkurs beim Nähen von kleinen Beuteln an, andere haben von Praktikantinnen häkeln gelernt und häkeln Decken. Rajesh schickte alle Produkte nach Deutschland, wo sie mit gutem Erfolg verkauft werden. Bestellungen werden noch gern entgegengenommen. In Deutschland haben sich verschiedene ehemalige Praktikant*innen zur Gestaltung eines besonderen Nepalkalenders zusammengetan, der außer Bildern zu Nepal und unseren Kindern auch Texte enthält, in denen sie ihre tiefe innere Verbundenheit mit dem Land und unserem Kinderheim zum Ausdruck bringen. Sofern Sie den Kalender nicht rechtzeitig bestellen konnten, machen Sie sich keine zu großen Sorgen. Wir haben noch eine kleine Anzahl zusätzlich bestellt, die wir gerne an Sie abgeben. Melden Sie sich bitte einfach über dieses Anfrageformular.
Innerhalb ihres Praktikums beim freien Radio free FM in Ulm hat die ehemalige Praktikantin Laura Moderau unseren früheren Leiter Navaraj (Beitrag 2) und mich (Beitrag 1) zum Lock-down interviewt. Sie können sich die Beiträge unter folgenden Links anhören:
Ich freue mich über diese Initiativen sehr und danke allen Mitwirkenden von Herzen. Zeigen sie doch, dass wir zwei dynamische und kreative Vereine mit engagierten Menschen haben. Dankbar stelle ich fest, dass ich mir um deren Zukunft keine Sorgen zu machen brauche.
Corona bedingt konnte an Tihar kein großes Fest, sondern nur eine „Familienfeier“ stattfinden, die sehr schön war. Das Video dazu können Sie unten ansehen. Der regelmäßig auf den neuesten Stand gebrachte Blog auf unserer Webseite informiert Sie in Text und Bildern über alle Aktivitäten und Aktionen im Verein. Es lohnt, sich dort regelmäßig einzuloggen.
Gerne senden wir Ihnen unseren Rundbrief und manche andere Information per Mail, denn dies ist einfach eine kostengünstige und schnelle Kommunikation, die dazu noch unsere Arbeit sehr erleichtert. Sie ist auch umweltfreundlich. Wir würden uns daher sehr freuen, wenn Sie uns, sofern nicht schon geschehen, Ihre E-Mailadresse schicken würden.
Wir suchen noch Paten. Patenschaften gibt es ab 30 Euro monatlich. Unsere Kinder freuen sich auf Sie.
Das laufende Jahr stellte uns alle vor große Herausforderungen, von denen wir nur hoffen können, dass wir sie persönlich und als Verein unabhängig von ihrer Fortdauer meistern können.
Halten Sie uns dazu bitte Ihre Treue, denn wir brauchen Sie dringend weiterhin!
In großer Dankbarkeit für Ihre ungebrochene Unterstützung sende ich Ihnen meine besten Wünsche für die bevorstehende Zeit.
Kommen Sie gut durch diese herausfordernde Zeit und bleiben Sie gesund!
Mit freundlichen Grüßen
Eine Vielzahl weiterer Rundbriefe, der vergangenen Jahre, finden Sie auch in unserem Downloadbereich zum Herunterladen als pdf.
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