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Linda Zaiser #meroNepal

Wie beschreibt man ein Land das eigentlich unbeschreiblich ist? Vielleicht indem man immer wieder verschiedene Positionen und Blickwinkel einnimmt, die sich stückchenweise zu einem großen Gesamtbild zusammensetzen. Zumindest ist das der Versuch den wir mit unserer #meroNepal Reihe unternehmen.

Ein weiteres Puzzleteil auf diesem Weg liefert uns Linda. Linda hat uns im April, nach ihrem sechsmonatigen Praktikum bei uns, von ihren Eindrücken und Erlebnissen erzählt. Beginnend bei ihrer Ankunft am Flughafen in Kathmandu über ihre Zeit in den Häusern und schließlich das Wiederankommen in Deutschland und der Corona bedingten Quarantäne. Vielleicht können wir Sie ja auf diese Weise, trotz des weiterhin geschlossenen Flughafens in Kathmandu, auf eine kleine Reise nach Nepal einladen.

Sie kennen unsere Reihe #meroNepal noch nicht? Dann lohnt sich vielleicht ein Blick in unseren Vorstellungsbeitrag in dem wir alle Fragen rund um die Reihe beantworten.

Linda Zaiser #meroNepal

Stell dich mal vor...

Namasté,

Ich bin Linda, 20 Jahre alt und komme aus Nürtingen. Nach meinem Abitur hatte ich Lust andere Länder und Kulturen kennenzulernen. So hat es mich nach Nepal zu der Rasselbande der „Häuser der Hoffnung“ verschlagen, wo ich von Oktober 2019 bis Mitte März 2020 eine wunderschöne Zeit verbrachte und mich in das Land und in die Kinder verliebte.

Wie lange bist du schon zurück? Hast du dich wieder eingelebt?

Seit meiner Rückkehr sind genau 9 Tage vergangen, aber keine Stunde, in der ich nicht an die Kinder gedacht habe. Mein Handy zeigt noch die nepalesische Zeit an, was mich durchaus schon ein paar Mal verwirrt hat. Das sollte ich nun vielleicht mal ändern.

Auf Grund der aktuellen Situation mit Corona musste ich meine weiteren Reiseplanungen über Bord werfen und mich schweren Herzens mit dem Gedanken anfreunden, früher als geplant nach Hause zu kommen. Die ohnehin große Sehnsucht nach Nepal und den Kindern wird dadurch noch verstärkt. Langsam aber sicher finde ich einen Weg mit der Quarantänesituation und meinem „Heimweh“ zurechtzukommen. Die Erstellung eines Fotobuchs und der Gedanke an eine möglicherweise baldige Rückkehr nach Nepal machen mich glücklich.

Warst du davor schon mal in Nepal? 

Nein, es war mein erstes aber sicher nicht letztes Mal in Nepal.

Kannst du dich noch erinnern, was dein erster Eindruck war als du in Nepal und in den Häusern ankamst?

Das was man ja bekanntlich als erstes sieht, (wenn man nicht gerade über den Landweg nach Nepal kommt, wie Tim und Robin von Expedition Humanity) ist der Flughafen bzw. die Taxifahrt zur Unterkunft.

Der Flughafen war klein, staubig, und im Gegenteil zu dem neuen Megaairport in Istanbul, wo wir 7 Stunden vorher umgestiegen waren, mittelalterlich.

 

Während der Taxifahrt, bei welcher unsere Rucksäcke und Taschen waghalsig aufs Dach geschnallt wurden und kein Gefährt dort fuhr wo es sollte, sondern genau dort wo es WOLLTE, dachte ich mir nur: „Es ist unglaublich wie sowas funktioniert, wozu brauchen wir Deutschen den „Spurhalteassistenten“ oder den „Abstandshalter“?“

In den Häusern habe ich mich schon beim Schritt durchs Tor willkommen gefühlt. Wie kann man auch nicht, wenn dir sofort zehn Kinder mit offenen Armen entgegenrennen, alle durcheinander „Aunty, whats your name ?“ rufen, auf den Arm springen und einem zeigen was sie gerade spielen oder gelernt haben, als wäre man nicht erst vor einer Minute angekommen.

Mir kamen die Kinder glücklich und zufrieden vor.

Hat sich dieser Eindruck bestätigt? Wie hat sich dieser Eindruck über deine Zeit in Nepal verändert?

Nach den 6 Monaten in Nepal kam mir der Flughafen bei meiner Abreise plötzlich groß und sauber vor. Und auch was den Straßenverkehr angeht habe ich in der Zeit gelernt:

Der hat einfach seine eigenen Regeln. Hupen bedeutet „Achtung ich komme“, der der zuerst da ist fährt zuerst. Im Allgemeinen ist jeder doppelt so achtsam wie in Deutschland und einfach gelassen, denn ohne Gelassenheit geht hier gar nichts. Und: ja, es funktioniert. Ich habe in der ganzen Zeit nur einen einzigen Unfall gesehen.

In den sechs Monaten habe ich viel von den Kindern gelernt und erfahren. Vor allem die älteren Jungs haben mir teilweise ihre Geschichten oder Gedanken anvertraut. Durch diesen engen Kontakt bekommt man durchaus einen Einblick in die Schwierigkeiten, die ein Leben im Kinderheim mit sich bringen.

Doch trotz kleineren Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten, die in jeder „Familie“ üblich sind, habe ich sie als dankbar, lebensfreudig und glücklich erlebt.

An welche Momente während deiner Zeit in Nepal erinnerst Du dich am liebsten zurück?

Besonders genossen habe ich die Zeit abends nach dem Dal Bhat. Oft habe ich noch einen Besuch bei den Jungs gemacht, die noch Studytime bis 21:00 Uhr hatten und mich dort dazu gesetzt. In dieser Zeit hatten die Jungs teilweise ihre Hausaufgaben schon fertig und es herrschte keine so strenge Arbeitsstimmung mehr. Dadurch entstanden schöne Gespräche und lustige Momente, die verbanden und an die ich mich sehr gerne zurück erinnere.

 

Doch die Zeit in Nepal wurde nicht nur von den Kindern geprägt, sondern auch von der Gruppendynamik unter uns Praktikanten. Ich hatte das Glück, durchweg mit superlieben Mädels zusammenzuwohnen. Unsere tiefsinnigen Gespräche im Garten, das abendliche Backen mit unserem selbstgebastelten Ofen über dem Gasherd oder all die witzigen Insider werde ich nie vergessen. Auch das hat meine Zeit in Nepal so besonders gemacht und mir das Gefühl von Heimat gegeben.

Was hast du den Kindern beigebracht? 

Da ich, als ehemalige Waldorfschülerin, mit Stricken und Häkeln groß geworden bin, und mir das auch immer Spaß gemacht hat, habe ich den etwas größeren Mädels Stricken beigebracht. Die Schwierigkeit war Stetigkeit zu wahren. Überaus motiviert haben wir an einem Ferientag gestartet. Der Ansturm war so groß, dass ich weitere Stricknadeln und Wolle von Annika aus Deutschland mitbringen ließ. Allein konnte ich gar nicht allen runtergefallenen Maschen und Knoten genug Aufmerksamkeit geben. Da hat mir dann zum Glück Juliane Aushilfe geleistet. Doch nach der ersten Aufregung hat man schnell gemerkt wer wirklich dran bleibt und lernen möchte. Während der Ferien haben wir tüchtig geübt, doch sobald die Schule wieder angefangen hatte, war es neben den Hausaufgaben und dem Tanzen schwierig noch in Ruhe Zeit zu finden.

Genau gleich war das mit dem „Flötenunterricht“. Juliane und ich hatten Blockflöten aus Deutschland mitgebracht. An Weihnachten konnten Ranjit und Pasang ein Lied vorspielen.

Doch danach ist das Ganze leider wieder etwas untergegangen. Also sollte das jemand lesen, der ein Praktikum plant und gerne strickt oder Flöte spielt: Die Kinder freuen sich!

 

Was ist dir nach deiner Rückkehr besonders in Deutschland aufgefallen?

Tatsächlich war ich schon am Flughafen in Doha so perplex von der Größe der Menschen. Plötzlich waren wieder alle größer und breiter. In Nepal konnte ich praktisch über jede Menschenmenge hinweg sehen.

Außerdem habe ich plötzlich wieder alle Menschen verstanden und alle haben mich verstanden. Die Straßen haben keine Schlaglöcher mehr. Die Autos ziehen keine schwarzen Wolken hinter sich her und fahren plötzlich wieder schneller als 30 km/h.

Es war kalt, doch als ich Zuhause zur Tür herein kam war es warm, es gab eine Heizung.

Die Menschen kippen nicht mehr ihre Köpfe von rechts nach links und wedeln nicht mehr mit der Hand als Zeichen von „Ja“ und „Nein“. Die Kleider schmeißt man dreckig in eine Maschine und sie kommen sauber wieder raus. Man muss nicht mehr auf den Stand der Sonne achten, wenn man warmes Wasser zum Duschen haben will...

Und natürlich isst niemand mehr mit den Händen.

Wie würdest du Nepal beschreiben?

Unbeschreiblich – jeder Versuch dieses wunderschöne Land mit seinen grünen Terrassenfeldern, auf welchen die Männer mit Ochsen pflügen, den weißen Bergspitzen, den bunten Häusern und den klaren Gebirgsflüssen, in welchen Frauen waschen und Kinder baden zu beschreiben , würde letztendlich nur ein Bruchteil dessen übermitteln, was es wirklich ist. Die Nepalesen mit ihrer unglaublichen Gastfreundschaft, Gelassenheit, Toleranz und Akzeptanz sind ein Volk, an welchem wir Deutschen uns in Vielem „eine Scheibe abschneiden können“.

Eine kurze Anekdote zum Schluss...

An einem Ferientag war ich bei den Jungs auf dem Ground und wir haben Volleyball gespielt. Währenddessen waren Ramesh (ein Junge aus dem College) und drei weitere Jungs dabei mit Hacken und sonstigen Geräten, die sie auffinden konnten, den Boden auf dem unteren Ground neben den Tischtennisplatten aufzulockern. Ein Feld mit bestimmt fünf mal drei Metern. Als ich Ramesh fragte, was sie vorhätten, meinte er: „Some boys wanted to learn agricultural work.“ Erstaunt hab ich mich mit der Antwort zufrieden gegeben und war auf das Ergebnis gespannt. Als ich eine Stunde später, nach einem Besuch bei den Kleinen im anderen Haus wieder zurück kam, standen alle Jungs um das Feld herum und Ramesh mit ein paar Anderen flogen im hohen Bogen mit Saltos und Schrauben durch die Luft, hochgefedert von einem, zu einem „Trampolin“ umfunktionierten Sandsack, und abgefedert von der aufgelockerten Erde.

Da wurde mir zum einen nochmal bewusst, wie erfinderisch sie doch waren, wie sportlich und wie gut sie mit den gegebenen Mitteln doch praktisch alles hinbekamen und zum Anderen, dass sich Ramesh mit mir einen ordentlichen Spaß erlaubt hatte, dessen er sich, mich breit angrinsend, bewusst war.

Drei weitere kleine Eindrücke aus Lindas Zeit in Nepal finden Sie auf unserem Instagram Account @selfhelpnepal, wo Sie diese ausgewählten Ereignisse bildhaft und vielleicht auch akustisch erleben können.   

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